Flexibel sein – und das auch bleiben
SCHULER Consulting: Fertigungskonzepte auf dem Prüfstand
Ein Artikel aus der Serie "Innovative Holzbearbeitung". HK Magazin 02/2022.
Von Nikolaus Rossa und Herbert Wolf.
Schnelle Anpassungsfähigkeit in der Produktion gilt als wesentliche Kernkompetenzen produzierender Unternehmen, um auf veränderte äußere Einflüsse optimal zu reagieren. Gerade die Pandemie hat jedoch gezeigt, wie anfällig viele Hersteller in diesem Kontext trotzdem sind. Vor allem fest verwurzelte Abläufe und geringe Spielräume innerhalb der IT-Struktur führen zu diesem Dilemma. Aber welche Arbeitsbereiche sind hierbei besonders kritisch und an welchen Stellschrauben kann man drehen, um die Flexibilität trotzdem zu erhöhen?
Flexibilität in der Fertigungs-IT
Möchte man mehr Flexibilität im eigenen Unternehmen erreichen und sich als Unternehmer zukunftsfähig aufstellen, ist ein prüfender Blick auf die eigene Fertigungs-IT ein guter Start. Hier gibt es neben vielen wichtigen kaufmännischen Prozessen drei Arbeitsschritte, die besonders kritisch sind. „Kritisch“ in dem Sinn, dass man sich in diesen Arbeitsschritten häufig schon die Flexibilität nimmt und sie oft viel Verbesserungspotenzial bieten. Diese Arbeitsschritte sind: 1. Die Auftragserfassung, 2. Die Produktionsdatengenerierung und 3. Die Produktionssteuerung.
1. Auftragserfassung:
Die Gesellschaft wird immer individueller, entsprechend auch die Möbel. Variantenreichtum von Möbeln führt dazu, dass Datenmodelle (bei kundenindividuellen Möbeln) immer umfangreicher werden, während ihr Wert jedoch verhältnismäßig gering bleibt – vergleicht man das zum Beispiel mit der individuellen Konfiguration und dem Preis eines Autos. Beim Möbelkauf erwartet der Kunde heutzutage außerdem schon in der Verkaufsberatung, dass er sein Möbel sehen kann – sprich, eine grafisch exakte Aufbereitung des Auftrags. Die Schwierigkeit besteht an dieser Stelle darin, komplexe Möbel effizient und dennoch vollständig zu erfassen. Je nach Geschäftsmodell stellt sich die Frage, ob für diesen Arbeitsschritt geeignete Systeme im Einsatz sind. Dabei ist zu unterscheiden, ob die Auftragserfassung intern oder extern stattfindet.
Bei externer Auftragserfassung (z.B. im Möbelhaus oder Küchenstudio) sind folgende Fragen zentral:
- Wie hoch ist die Qualität der Daten, die am Point-of-Sales erfasst werden? Sind sie vollständig, sinnvoll und korrekt? Eine semantische und syntaktische Prüfung ist notwendig.
- Wie hoch ist der Aufwand am Point-of-Manufacturing, die extern erfassten Kundenaufträge aufzubereiten, sodass sie eindeutig produziert werden können und am Ende das Produkt entsteht, das der Kunde fordert?
- Gibt es häufig Rückfragen an den Point-of-Sales, um den Auftrag zu klären? Gibt es einen grafischen Import von Kundenaufträgen?
Flexibilität bedeutet hier: es zu schaffen, die Kundenaufträge korrekt, sinnvoll und vollständig aus den vielen unterschiedlichen Erfassungssystemen (Möbelhäuser, Studios, online) möglichst ohne manuelle Nacharbeit zu beziehen.
Bei interner Auftragserfassung (z.B. durch Innenarchitekten, Designer oder in der Arbeitsvorbereitung) sind folgende Fragen relevant, um zu prüfen, ob die eingesetzten Systeme ausreichend Flexibilität bieten:
- Welchen gestalterischen Spielraum lässt das System zu?
- Werden CAM-Daten automatisch generiert?
- Wie hoch ist der Pflegeaufwand für die Stammdatenpflege und die Anbindungen an Lieferantenplattformen?
- Welches Know-How benötigen meine Mitarbeitenden?
- Wie hoch ist der Aufwand bei der Konfiguration und der Erweiterung des Systems?
Flexibilität bedeutet hier: Maximale Freiheit bei der Gestaltung sowie bei der Überführung der Aufträge in die Produktion.
2. Die Produktionsdatengenerierung
Die Frage, wie Produktionsdaten generiert, konfiguriert und für die Produktion aufbereitet werden, ist für eine flexible Fertigung essenziell. Spätestens mit dem Bereitstellen der Fertigungsaufträge findet die Produktionsdatengenerierung statt. Dazu gehören zum Beispiel: Schnittpläne zum Auftrennen, Makros für die Kantenbearbeitung sowie CNC- und Bohrprogramme. Qualitative Produktionsdaten sind die Basis, um weitere Prozesse zu automatisieren. Die Konfiguration dieses Regelwerks sollte im eigenen Unternehmen stattfinden, um das interne Know-How jederzeit erweitern und anpassen zu können. Zum Beispiel, wenn es neue Prozesse, Werkzeuge, Bearbeitungsaggregate oder veränderte Abläufe in der Wertschöpfung gibt.
Ebenso ist es sinnvoll, die Konfiguration von Daten zur Positionierung und Bewegung von Automatisierungstechnik wie Robotergreifarmen, Portalen oder Sortierspeichern auf Basis von intern verwalteten Regelwerken durchzuführen. Wer diesen Prozess voll im Griff hat, der hat im späteren Verlauf der Wertschöpfung alle Karten in der Hand, um weiter zu automatisieren.
Eine weitere Herausforderung ist die Anlage und Pflege der Stammdaten. In der Praxis werden diese oft mehrfach in unterschiedlichen Systemen gepflegt. Das führt zu einem erheblichen Mehraufwand. Im schlimmsten Fall kann das gravierende Auswirkungen bis hin zum Maschinen-Crash haben.
Flexibilität bedeutet hier, dass die Produktionsdaten weitestgehend automatisch erzeugt und an den Arbeitsplätzen bereitgestellt werden. Eine große Rolle spielen hier CAD/CAM Systeme, durch die es möglich ist, aus der Auftragserfassung heraus die relevanten Produktionsdaten abzuleiten.
3. Die Produktionssteuerung
Transparenz ist der erste Schritt in Richtung Flexibilität. Nur wer ständig über die aktuellen und bestenfalls auch über die zukünftigen Zustände in seiner Fertigung informiert ist, kann kurzfristig und richtig reagieren. Um Transparenz über die Fertigungsabläufe zu gewinnen, ist der Einsatz von Fertigungsleitsystemen (Manufacturing Execution Systems, kurz MES) hilfreich. Sie können Produktionsplanung, -steuerung und -organisation vereinen. Automatisierungslösungen wie Fertigungsleitsysteme, die vertikale und horizontale Prozesse in einen Fluss bringen, sind zwar mit weitreichenden Investments verbunden, bringen aber für die alltäglichen wertschöpfenden Tätigkeiten große Vorteile.
Angeknüpft an die grobe Kapazitätsplanung innerhalb eines ERP-Systems, kann ein MES die genau Auslastungsplanung der Produktion durchführen. Das ermöglicht es, die exakte Kapazität der einzelnen Arbeitsplätze zu planen. In der Planung gibt es verschiedene Szenarien: Welcher Auftrag wird wann eingelastet und welche Auswirkung hat das auf die Auslastung der Arbeitsplätze? Engpässe können frühzeitig erkannt werden. Das erlaubt dem Hersteller, rechtzeitig zu reagieren und Maßnahmen zu ergreifen: Wird ein Engpass an einem Arbeitsplatz sichtbar, kann man weitere Ressourcen wie einen „Springer“ als zusätzliche Arbeitskraft einsetzen oder die Arbeitszeiten ausweiten. Kommt der Produktionsfluss an einem Arbeitsplatz ins Stocken, bestimmt das die Gesamtkapazität der Fertigung. Ist hingegen die Auslastungen der Arbeitsplätze bekannt, dann können auf der Basis von Arbeitsplänen die idealen Fertigungsrouten für einen ausgeglichenen Produktionsfluss ermittelt werden. Bei Ausfällen oder Änderungen kann das System kurzfristig reagieren und alternative Fertigungsrouten vorschlagen. Die Auswirkung auf Fertigstellungstermine und Auslastung können durch einen Szenario Manager dargestellt werden.
Andersherum erhält man durch ein MES-System ebenfalls wichtige Rückmeldungen aus der Produktion. So bieten beispielsweise frühzeitige Informationen über Veränderungen beim Liefertermin einen großen Vorteil in der Kundenkommunikation. Darüber hinaus können auf Basis der Rückmeldungen Aufträge zum einen nachkalkuliert und zum anderen Planzeiten für Folgeaufträge generiert werden. Diese Transparenz sorgt für Vertrauen und Genauigkeit in neue Planungen (z.B. neuartige Aufträge, Produkte etc.) und senkt das Risiko für Fehlinvestitionen. Das macht ein Unternehmen flexibel.
Flexibilität bedeutet hier: Transparenz in der Produktion schaffen und die Möglichkeiten für proaktives Handeln, beispielsweise durch den Einsatz eines MES-Systems, erweitern.
IT-Systeme als Teil der Wertschöpfungskette verstehen
IT-Systeme sind Teil der Wertschöpfungskette, da erst durch zugehörige Datenmodelle das Endprodukt entstehen kann. Eine schnelle Anpassungsfähigkeit in Bezug auf die Produktion kann nicht ausschließlich mit Blick auf den Maschinenpark oder das Personal betrachtet werden. Wer seinen Informationsfluss durchgängig gestaltet, die produktionsrelevanten Daten modular aufbaut und Schnittstellen klar definiert, der hat beste Voraussetzungen für kleine Anpassungsintervalle und erhöht somit die Flexibilität seiner wertschöpfenden Prozesse, noch bevor der erste Span gefallen ist.
Idealerweise beinhalten die vertikalen Prozesse in ihrem Dreiklang von Planen, Steuern und Kontrollieren regelmäßige Rückkoppelungsschleifen, die einen Abgleich zwischen Planung und IST-Zustand liefern, wie beispielsweise einen Abgleich zwischen geplanten und erfassten Fertigungszeiten sowie geplantem und erfasstem Materialverbrauch. Solche Rückkoppelungen erhöhen die Transparenz: Es wird möglich, Schwachstellen in Planungs- und Steuerungsabläufen zu erkennen und zu beheben. Die Rückkoppelungen und Abgleiche dienen darüber hinaus der Qualitätssicherung, der Liefer- und Termintreue und können für Rationalisierungsmaßnahmen ausschlaggebendes Kriterium sein.
Dabei spielen nicht nur die Systeme, die einen durchgängigen Informationsfluss gewährleisten sollen, eine wichtige Rolle, sondern auch die Informationsversorgung der Mitarbeiter in der Fertigung. Die ständige Verfügbarkeit von allen relevanten Informationen – bestenfalls auf Knopfdruck und in Echtzeit – wie zum Beispiel Bauteilzeichnungen, Fertigungswege, Montagezeichnungen, Vollständigkeitskontrollen oder Lösungen für Service-Fälle, führen zu einer schnelleren Reaktionszeit der Mitarbeiter. Diese Systeme unterstützen Unternehmen dabei, Wartezeiten oder Stillstände in der Produktion zu vermeiden und tragen somit zu einem erheblichen Teil zur Wertschöpfung bei.
Flexible Fertigungskonzepte
Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg in der Frage um Flexibilität ist das Fertigungskonzept. Gemeint sind die Prozesse der horizontalen Wertschöpfung vom Lieferanten der Rohmaterialien bis zur Auslieferung des fertigen Endprodukts. Bei der Planung von Produktionsstätten und der konkreten Wahl von Arbeitsplätzen, Maschinen und Anlagen, stellt sich immer die Frage nach dem geeigneten Gesamtkonzept. Abhängig von zahlreichen Faktoren wie dem Produkt, der Unternehmensgröße oder dem Produktionsstandort ergeben sich diverse Möglichkeiten, die horizontalen Wertschöpfungs-prozesse zu gestalten. Grundsätzlich kann der Wertschöpfungsprozess nach folgenden Fertigungsprinzipien unterschieden werden: Erstens, die Lagerfertigung (Fertigung auf Bauteil-Zwischenlager oder Fertigwarenlager) und zweitens, die auftragsbezogene Fertigung.
Die Lagerfertigung zeichnet sich durch hohe Losgrößen, geringe Stückkosten und kurze Lieferzeiten aus. Die Produktions- und Logistikprozesse in einer Lagerfertigung weisen einen geringen Komplexitätsgrad auf. Allerdings ist die Produktvarianz begrenzt und die Produktflexibilität, beispielsweise bei Modellwechseln, eingeschränkt. Zudem werden bei spezialisierten Anlagen hohe Rüstzeiten benötigt. Häufig sind hohe Lagerkapazitäten erforderlich, die einen hohen Kapitaleinsatz und einen großen Flächenbedarf bedingen.
Bei auftragsbezogenen Fertigungen handelt es sich um Losgröße-1 Fertigungsanlagen mit geringen oder keinen Rüstzeiten. Theoretisch ist hier eine grenzenlose Produktvarianz möglich. Der Kapitalbedarf in Lagerhaltung und Pufferflächen sind im Gegensatz zur Lagerfertigung gering. Im Sortierprozess und mit Blick auf die Anforderung an die IT-Prozesse sind diese allerdings komplexer.
Die auftragsbezogene Fertigung ist deutlich flexibler als eine Lagefertigung. Aufgrund von steigenden Kundenbedürfnissen und der höheren Produktvarianz stehen jedoch kleine Produzenten als auch große Massenhersteller vor dem Problem, einer immer größer werdenden Varianz mit den geeigneten Fertigungsprozessen zu begegnen. Das hat beispielsweise bei Küchenherstellern dazu geführt, dass sie ihr Produktportfolio in andere Bereiche (Wohnen, Bad) ausgeweitet haben und die Zwischenlagerkapazitäten für Bauteile an ihre Grenzen gestoßen sind. Die Reaktion darauf war, größere Anteile auftragsbezogen zu produzieren. Folgende Kombinationen aus den Fertigungsprinzipien make to stock und make to order haben sich als mögliche Lösungen herauskristallisiert, um dieser Entwicklung zu begegnen: Erstens, eine Produktion von Standardteilen (A und B-Teile) auf Zwischenlager mit einer auftragsbezogenen Fertigung von C-Teilen oder zweitens, die Fertigung von Standardteilen auf Lager, während C-Teile, aus A und B Teilen rückgeschnitten werden.
Fazit
Sowohl eine auftragsbezogene als auch eine Lagerfertigung haben ihre Daseinsberechtigung. Je nach Anwendungsfall, Produktportfolio und Grad der Produktstandardisierung muss hier individuell entschieden werden. Im industriellen Maßstab (exemplarisch Küchen) kommen eher zuvor genannte Mischformen aus auftragsbezogener Produktion und Lagerfertigung zum Einsatz. Mit Blick auf die gesamte Branche stehen kleine und große Hersteller vor der gleichen Herausforderung, dass die Varianz der Produkte und damit die Anforderung an den gesamten Wertschöpfungsprozess steigen. Diejenigen Hersteller, die sich hier aus der Masse abheben wollen, bieten ihren Kunden maximale Produktflexibilität. Doch nicht nur die Wahl des Fertigungskonzepts, sondern auch der Einsatz passender IT-Systeme ist hierbei kritisch, um die Transparenz und damit die Flexibilität in der Fertigung zu erhöhen.
Der externe Schock, der durch die Pandemie ausgelöst wurde, hat Produzenten noch mehr unter Druck gesetzt. Hersteller werden auch weiterhin gefordert sein, vertikale und horizontale Prozesse digital miteinander zu vernetzen und in den Kreislauf ihrer Geschäftsprozesse einzubinden. Dabei hilft die Zusammenarbeit mit externen Partnern, um den Handlungsbedarf im eigenen Unternehmen zu erkennen und die richtigen Maßnahmen zu definieren und umzusetzen. Der Blick von außen liefert wertvolle und fundierte Erkenntnisse, um zu entscheiden, wo die (technologische) Reise des eigenen Unternehmens weiter hingehen soll. Hier gilt: Kein Unternehmen ist wie das andere. Das Ziel, mehr Flexibilität in der Fertigungs-IT und in den Produktionsabläufen zu erreichen, kann immer nur individuell gelöst werden.
Über die Autoren:
Herbert Wolf arbeitet seit vier Jahren als Berater bei SCHULER Consulting. Hier berät er Hersteller aus der DACH-Region hauptsächlich zum Thema strategische Produktionsplanung.
Nikolaus Rossa ist seit vier Jahren bei SCHULER Consulting tätig. Seine Kerntätigkeit liegt in der IT-Beratung mit dem Schwerpunkt MES.